Anja und Meinolf Thies: "Kino zugänglich halten"

Mit ihrem Unternehmen Consulthies feiern sie 20jähriges Jubiläum: Wir sprachen mit Anja und Meinolf Thies über deren Geschäftsphilosophie, die Lage des Kinomarktes – und Ärgernisse im Tagesgeschäft.

Richtig gefeiert wird zwar erst im Oktober - aber Anfang August jährte sich die Gründung der Consulthies durch Meinolf Thies - seine Frau Anja Thies stieß 2006 als stellvertretende Geschäftsführerin hinzu und wurde 2009 mit dem Erwerb von 50 Prozent der Anteil gleichberechtigte geschäftsführende Gesellschafterin - zum 20. Mal. Wir sprachen mit Anja und Meinolf Thies anlässlich des Jubiläums über deren Geschäftsphilosophie, die Lage des Kinomarktes – und Ärgernisse im Tagesgeschäft.

BLICKPUNKT: FILM: Kurz gesagt: Wofür steht die Consulthies?

MEINOLF THIES: Das ursprüngliche „Mission Statement“ der Consulthies lautet „berät und betreibt Filmtheaterunternehmen“. Das deckt unser Tätigkeitsfeld längst nicht mehr ganz ab, denn tatsächlich haben wir schon zahlreiche Unternehmen aus anderen Branchen beraten. Aber im Fokus steht nach wie vor die Betreuung unserer eigenen, derzeit sechs Filmtheaterunternehmen sowie die Beratung zahlreicher anderer Kinobetriebe bzw. von Menschen, Unternehmen oder Institutionen, die einen Bezug zu dieser Branche haben, das umfasst natürlich insbesondere Entwickler von Kinoimmobilien.

ANJA THIES: Unsere Beratungsleistungen drehen sich aber nicht nur um Fragen rund um Neuerrichtung oder Übernahme von Kinos, sondern auch um jene des „Alltagsgeschäfts“, wie zum Beispiel Zeitwertanalysen von Equipment. Ein großes Thema waren zuletzt die operativen Umstellungen aufgrund der Mehrwegangebotspflicht, bei denen unsere Praxiserfahrung sehr gefragt war.

B:F: Wie war es in all den Jahren bei Projektentwicklern im Schnitt um Kenntnisse hinsichtlich der Besonderheiten des Kinomarktes bestellt? Wie viel Basisaufklärung musste man leisten?

ANJA THIES: Das hing und hängt natürlich sehr stark vom jeweiligen Investor ab. Manche kommen rein aus der Immobilienbranche, da fängt man im Grunde wirklich bei Null an. Dass aber gerade auch erfahrene Investoren Beratungsleistungen eines Unternehmens wie Consulthies in Anspruch nehmen, hängt natürlich damit zusammen, dass es enorm viele spezifische Dinge gibt, die man gerade bei einem Kino(neu)bau beachten sollte – und die sich im laufenden Betrieb nicht zuletzt auf Kostenpunkte wie den notwendigen Personaleinsatz auswirken. Für uns war es eine ganz besondere Freude, unsere geballte Erfahrung vor einigen Jahren auch in unseren eigenen Kinoneubau in Kamp-Lintfort einfließen lassen zu können. Der Unterschied zwischen einem Bestandshaus und einem sorgfältig neu geplanten Kino kann immens sein.

MEINOLF THIES: Wenn Sie wissen wollen, wo die größten Wissenslücken bei Branchenfremden liegen, dann kann ich darauf eine ganz eindeutige Antwort geben. Denn was wir wieder und wieder erlebt haben, war ernsthaftes Erstaunen über das Kino-Geschäftsmodell an sich. Wer nie mit dieser Branche zu tun hatte, geht in der Regel davon aus, dass Kinos Filme schlicht für eine fixe Summe X beziehen. An die ticketbezogene Abrechnung mit all den Facetten, wie sie für uns Alltag sind, denkt ein Branchenfremder in aller Regel nie und nimmer – das hatte auch nicht umsonst während des Open-Air-Booms zu Corona-Zeiten durchaus für Verstimmung beim einen oder anderen potenziellen Quereinsteiger gesorgt…

B:F: Was hat Sie vor 20 Jahren dazu bewogen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen?

MEINOLF THIES: Wenn ich ehrlich bin, verdanke ich diesen Karriereweg jemandem, der mich einst aufs Abstellgleis schieben wollte. Als Hartmut Scheunemann zum Finanzvorstand bei Cinemaxx berufen wurde, prallten da zwei Welten aufeinander: Ich, der ich seit zwölf Jahren im Unternehmen tätig war und das Geschäft in- und auswendig kannte – und er, der sich in einer völlig neuen Rolle zurechtfinden musste. Seine Lösung, einen vermeintlich „unbequemen“ Mitarbeiter loszuwerden, fand ich dann doch ein wenig skurril, wollte er mir doch tatsächlich mit den Worten „Sie sind der Einzige, der das kann“, die zeitlich begrenzte Verantwortung für drei große Cinemaxx-Standorte übertragen, die strukturelle Probleme hatten. Dass er denjenigen loswerden wollte, dem er als einzigem zutraute, diese Kinos auf Vordermann zu bringen, entbehrte schon nicht einer gewissen Ironie. Wie übrigens auch die Tatsache, dass ich am Ende während meiner freien Tätigkeit für Cinemaxx noch vier weitere Finanzvorstände erlebt habe. Denn tatsächlich ließ ich mich auf den Management-Vertrag, der dann zur Gründung der Consulthies führte, ein – und machte den Job in Essen und Mülheim dann ganze zehn Jahre, während wir den Standort Solingen schnell selbst übernahmen. Rückblickend war es eine Win-Win-Situation für beide Seiten, zumal ich mir im Vertrag ausbedungen hatte, dass ich abseits der Städte, in denen ich Kinos zur Betreuung übernommen hatte, als Kinounternehmer frei agieren konnte – dadurch kam mit der Cineworld Lünen sehr bald der erste eigene Betrieb auch unter das Dach der Consulthies.

B:F: Wie verteilen sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit aktuell zwischen den Dienstleistungen der Consulthies und dem operativen Betrieb der eigenen Häuser?

ANJA THIES: Derzeit würde ich sagen, dass sich rund 80 Prozent unserer Arbeit um die eigenen Häuser drehen. Das hängt natürlich sehr stark damit zusammen, dass wir aus einer Pandemie kommen, während derer Beratungsleistungen nur eingeschränkt gefragt waren. Und damit, dass jeder – das schließt uns mit ein – nach wie vor stark damit beschäftigt ist, das Geschäft vor Ort wieder zu beleben. Dass die Zahl der Neubauten momentan nicht gerade in den Himmel wächst, ist ja ohnehin bekannt, damit fehlt derzeit ein ganz zentraler Anlass, Beratungsleistungen in Anspruch zu nehmen.

MEINOLF THIES: Natürlich ist das stark ausbaufähig, das Verhältnis war vor der Pandemie ein deutlich anderes. Allerdings muss man eben ehrlich feststellen, dass momentan auch kein sonderlich guter Zeitpunkt ist, was Betriebsübergaben anbelangt. Denn was momentan auf den Markt kommt, ist sehr häufig mit Steinen im wortwörtlichen Sinn verbunden. Gemeint sind die Fälle, in denen nicht nur eine Betreiber-GmbH veräußert werden soll, sondern gleich das ganze Gebäude. Da hat man es nach Corona mit den Banken, die das Kino immer noch als „Problembranche“ führen, nicht gerade leicht, zumal die Zinsen auch noch so stark gestiegen sind. Die großen Ketten scheiden als Interessenten für so etwas zumeist aus, da sie weitestgehend nur als Mieter auftreten – und wer als Mittelständler das Kapital aufbringen kann, sollte besser in der Nähe wohnen, wenn er Verantwortung für die gesamte Immobilie an sich übernehmen will. Ich glaube tatsächlich, dass manche, die sich jetzt – sicherlich auch angetrieben durch eine nachvollziehbare Erschöpfung infolge der Pandemie und ihrer Folgen – überlegen, ihre Betriebe aus Altersgründen abzugeben, möglicherweise keinen guten Zeitpunkt gesucht haben. Und ich bin nicht ganz sicher, wann der nächste kommt. Das dauert sicherlich noch.

B:F: Sehen Sie denn mittelfristig noch nennenswertes Potenzial für Kinoneubauten in Deutschland? Gibt es noch Regionen, die sie als „underscreened“ betrachten?

ANJA THIES: Wir haben uns auch in Vorbereitung auf das Gespräch gerade erst wieder über diese Frage unterhalten. Ja, es gibt sicherlich noch ein paar Städte, von denen wir sagen würden, dass sie ein neues, tolles Kino gebrauchen könnten. Welche das sind, würde ich aus sicher nachvollziehbaren Gründen nicht konkret benennen wollen. Dass wir unseren eigenen „Fuhrpark“ perspektivisch noch einmal vergrößern, möchte ich nicht kategorisch ausschließen, aber so ein Projekt müsste wirklich zu 100 Prozent zu uns passen. Das sehe ich im Moment eher nicht, da reden wir vielmehr über Maßnahmen an unseren Bestandshäusern.

MEINOLF THIES: Was wiederum Übernahmen anbelangt, sehe ich – und damit meine ich jetzt in erster Linie Multi- und Miniplexe – die Zahl der attraktiven Kinos, die im Markt sind, eher schwinden. Denn viele Häuser kommen in die Jahre – und dann werden Maßnahmen fällig, die für den Besucher erst einmal unsichtbar bleiben, die sein Erlebnis nicht verbessern. Denken Sie nur an Dinge wie Brandmeldeanlagen, Lüftungen, Schaltschränke… Da werden ganz schnell hohe fünfstellige oder gar sechsstellige Summen aufgerufen – und dann stellt sich die Kardinalfrage: Wen trifft die Last? Den Mieter oder den Vermieter? Da liegt bei einem Mietobjekt wirklich der Hase im vertraglichen Pfeffer. Um ganz offen darüber zu sprechen: Bei jedem der Objekte, aus denen wir uns zurückgezogen haben – in Salzgitter, in Mülheim und in unserem ehemaligen Osnabrücker Standort in der Johannisstraße – haben wir den Vermietern klar zu machen versucht, dass sie dort keine Kinonutzung mehr sehen werden, wenn sie gewisse Dinge nicht nach unseren Vorstellungen regeln. Nun, alle drei Standorte stehen bis heute leer, ohne Perspektive. Und ich bin sicher, dass es Häuser gibt, die schon in absehbarer Zeit auf ähnliche Probleme stoßen werden.

ANJA THIES: Wenn der Mietvertrag ausläuft und solche Investitionen anstehen, die rein in die Substanz und nicht in das Erlebnis gehen, dann überlegt man sich schon drei Mal, ob man sich das noch antut – insbesondere, wenn man keine 30 mehr ist…

MEINOLF THIES: Oder nehmen Sie das Beispiel Wolfenbüttel. Da findet ja nun auch nicht gerade ein Bieterwettbewerb statt… Das ist schlimm für die Stadt, weil sie jetzt vielleicht auf absehbare Zeit ohne Leinwände bleibt. Aber solche Objekte meine ich – und davon gibt es leider einige mehr.

B:F: Der Markt komme „so nicht mehr ewig klar“, stellten Sie im Oktober vergangenen Jahres angesichts teils massiver Kostensteigerungen im Interview fest. Bewegen wir uns denn überhaupt in einem Marktumfeld, dass Anlass gibt, ein Jubiläum zu feiern?

MEINOLF THIES: Wenn wir das Gespräch Ende April geführt hätten, wäre mir die Antwort leichter gefallen. Während dieser fürchterlichen, schier nicht enden wollenden Hitzewelle habe ich mich emotional teils zwischen zwei Lockdowns gewähnt. Kein einziger Film seit "Guardians of the Galaxy" konnte bis Mitte Juli sein Potenzial ausschöpfen. Kein einziger!

ANJA THIES: Das waren wirklich fürchterliche Wochen. Umso mehr, als es nicht an den Filmen lag. Content war wirklich genug da – im Grunde war es in dieser Zeitspanne sogar zu viel…

MEINOLF THIES: Dass wir mit übervollen Startlisten in den Sommer gegangen sind, nur um zu sehen, wie sich das Angebot bis zum Winter ausdünnt, war von vorneherein alles andere als ideal. Dass die Hitzewelle dann derart viele Titel nach unten gerissen hat, war dramatisch. Immerhin – und das gab uns Allen zuletzt dann doch einen Grund zu feiern – kam mit den Blockbustern "Barbie" und "Oppenheimer" nicht nur ein Wetterumschwung, der die Ergebnisse deutlich begünstigte. Sondern selbst bei Berücksichtigung dieser Vorzeichen ein absolut eindrucksvoller Beleg dafür, wie gut das Kino an sich dastehen kann, wenn es läuft. Gerade das unterstreicht aber nur, wie entscheidend es wäre, Kinos endlich über das gesamte Jahr hinweg in die Lage zu versetzen, das Potenzial, das bei vielen Filmen ungenutzt verraucht, auszuschöpfen.

B:F: Sie beziehen sich auf das Thema "Verleihbedingungen"?

ANJA THIES: Wir erleben es doch Woche für Woche, dass man uns im Prinzip in der Auswertung beschneidet, indem man uns Fußfesseln anlegt, indem man uns Volleinsatz für Filme vorschreibt, bei denen das für uns wirtschaftlich einfach keinen Sinn macht. Für Filme, mit denen wir in Schiene länger schöne Zahlen generieren könnten und die wir unserem Publikum auch gerne anbieten würden. Schließlich geht es doch auch darum, Vielfalt abzubilden, den Menschen möglichst große Auswahl zu bieten. Das übliche Hauen und Stechen um Einsätze ist schlimm genug, aber in einem Startumfeld, wie wir es in den vergangenen Wochen erlebt haben, ist es einfach nur noch anstrengend und schädlich. Dabei müsste doch jedem klar sein, dass es viel sinnvoller wäre, flexibler agieren zu können. Was auch bedeuten würde, Filme so lange auf den Leinwänden halten zu können, wie sie Besucher ziehen – und sie nicht vorzeitig aus dem Programm werfen zu müssen. Dass man oftmals nicht einmal die Erlaubnis erhält, zwei Filme ein- und desselben Verleihs abwechselnd in einem Saal zu spielen, selbst wenn Konsequenz ist, dass einer davon dann ganz aus dem Spielplan fliegen muss – das erschließt sich mir auch nach fast zwei Jahrzehnten in dieser Branche nicht.

MEINOLF THIES: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Dinge zwischen Kino und Verleih verändert – aber was sich wohl nie ändern wird, ist die Tatsache, dass den Kinos keinerlei Mitsprache beim Startkalender gewährt wird und wir die daraus resultierenden Konflikte ausbaden müssen. Die Studios wissen doch selbst am besten, dass man bei einem Film wie Mission: Impossible den besten Saal für mehr als nur ein Wochenende will – warum schickt man dann gleich zwei Titel nach, die wiederum jeweils für sich beanspruchen, als bester Film des Jahres auch den besten Saal zu bekommen? Gut, in diesem Fall waren die beiden Konkurrenten beide große Gewinner – aber der Rest des Feldes? Über unsere Disposition kann ich berichten, dass die Gespräche am Montag vor dem „Barbenheimer“-Wochenende vier Stunden gedauert haben. Für ein einziges Drei-Saal-Haus. Das ist doch Wahnsinn! Wir sprechen von Dingen, die die Branche selbst in der Hand hätte – aber da versagt sie.

B:F: Dass das angedachte Pilotprojekt zur flexibleren Disposition begraben zu sein scheint, enttäuscht Sie?

MEINOLF THIES: Selbstverständlich. Und ehrlich gesagt vermute ich aufgrund des Timings dahinter ein trügerisches Gefühl, das vor allem auf den fünf sehr starken Monaten von Dezember 2022 bis April 2023 basiert. Während der Pandemie hatte man streckenweise den Eindruck, dass sich so etwas wie gemeinsame Interessen ihren Weg bahnen – aber zuletzt ist man wieder komplett in alte Handlungsmuster verfallen. Ich hoffe, dass die vielen mauen Wochen zwischen Mai und Juli da noch einmal ein echter Weckruf sind…

ANJA THIES: Auch wenn sich die steile Anstiegskurve bei den Kosten so langsam abzuflachen verspricht und auch Energie nicht ganz so teuer wurde, wie es vergangenes Jahr noch zu befürchten stand, haben wir doch immer noch mehr als genug Probleme, um uns als Branche nicht noch zusätzliche schaffen zu müssen. Selbst unter so ungünstigen Bedingungen wie der Hitzewelle hätte man mit etwas Geschick mehr herausholen können.

MEINOLF THIES: Wir müssen das wirklich ganz nüchtern sehen: Die Zeit zwischen Mitte Mai und Ende Juli dürfte schon für sich genommen ausgereicht haben, um so manche Hoffnung massiv schrumpfen zu lassen – schließlich sind wir nach der Pandemie immer noch in einer Situation, in der es gilt, überhaupt wieder Kapital aufzubauen. Und wir wollen uns noch gar nicht ausmalen, was die Streiks in den USA noch anrichten können…

B:F: Also doch eher Wasser statt Sekt zum Jubiläum?

MEINOLF THIES: Nein, das nun nicht. Dass wir uns als Branche schon seit Jahren nicht gerade in einer „Comfort Zone“ bewegen, ist jedem klar. Dass wir uns weiteren erheblichen Herausforderungen gegenübersehen, auch. Aber ebenso ist klar, dass das Kino an sich die Voraussetzungen mitbringt, um sich diesen Herausforderungen mit Zuversicht zu stellen. Ich meine - was haben wir alle für eine Achterbahnfahrt hinter uns. Ich kann kaum in Worte fassen, wie glücklich ich war, als Filme wie "Top Gun Maverick" und "Avatar" als förmliche Game-Changer all das zurückgeholt haben, was uns über Corona verloren gegangen schien. Nicht nur, was den Besucherzuspruch und das Image des Kinos anbelangte – sondern auch, was so entscheidende Rahmenbedingungen wie die Länge des Auswertungsfensters betraf. Und auch, wenn wir vor „Barbenheimer“ viel zu viele viel zu schlechte Wochen ertragen mussten, wollen wir doch auch nicht vergessen, wie viele Filme in den davor liegenden Monaten die in sie gesteckten Erwartungen übertroffen haben. Wer hätte schon mit mehr als einer Million Besuchen für Filme wie "Rheingold" oder "Sonne und Beton" gerechnet?

ANJA THIES: Gerade das war großartig – und es zeigt auch, dass Kino nach wie vor in der Lage ist, immer wieder auch Zielgruppen anzusprechen, die man bislang gar nicht oder schon lange nicht mehr erreicht hat.

B:F: Was ist Ihr persönliches Rezept für Erfolg im Kino?

MEINOLF THIES: Ich würde sagen: So wie wir Kino machen, macht das nicht jeder. Wir leisten uns viel – insbesondere auch personell, gerade auf Ebene der Theaterleitung. Social-Media-Accounts etwa betreuen sich ja nicht von selbst. Auch im Service gönnen wir uns die eine oder andere Position mehr als mancher Mitbewerber, weil wir Schlangenbildung vermeiden wollen. Wir haben in den meisten unserer Häuser schon vor Jahren von heute auf morgen auf werbefreie Leinwände gesetzt – eine Maßnahme, die sich noch heute stets in den Top 3 findet, wenn wir Gäste nach den fünf Tops bzw. Flops befragen. Wir haben 3D frühzeitig und konsequent gepusht, haben mehr Komfort mit Tischchen zwischen den Stühlen geschaffen. Wir haben das Thema D-Box nach vorne gebracht, als andere noch gar nicht darüber nachgedacht haben. In unseren Häusern werden Sie kaum einen Foyermonitor finden. Dass wir weiterhin auf klassische Werbemittel wie Poster und Aufsteller fokussiert sind, mag für den einen oder anderen etwas altbacken wirken – unsere Philosophie ist aber, dass wir unsere Besucher nicht alle paar Meter an neuen flackernden Motiven vorbeischicken, sondern einen Ort der Entspannung bieten wollen. Zudem wirkt so ein Aufsteller immer noch x-fach stärker als jede Display-Einblendung - schlag‘ nach bei den Erfolgen von Poster-Börsen. Und wir haben schon vor Jahren die 20-Uhr-Schiene als klassische Hauptvorstellung abgeschafft, bieten stattdessen in aller Regel vielmehr eine frühe und eine spätere Hauptvorstellung. Das war damals ein Riesenthema, das zu endlosen Debatten mit Verleihern geführt hat. Aber am Ende des Tages scheinen wir damit nicht so falsch gelegen zu haben… Ich könnte jetzt noch diverse Dinge aufzählen, aber eigentlich lässt sich alles auf einen Nenner bringen: Unser Leitspruch lautet „Kino machen, wie es das Publikum will“. Um unseren Geschäftspartner Lutz Nennmann zu zitieren: „Den Großteil der Filme, die ich jede Woche disponiere, würde ich mir selbst niemals ansehen.“ Und genau darauf kommt es auch nicht an. Sondern nur darauf, was das Publikum will.

B:F: Gibt es Dinge, die Sie grundsätzlich noch gerne ändern würden?

MEINOLF THIES: Es ist einfach so, dass die heutige Kinoarbeit der Theaterleitung viel zu wenig Kontakt zum Publikum erlaubt, weil sie mit Aufgaben vor dem PC beschäftigt ist. Das ist wirklich bedauerlich, wird sich aber nicht mehr ändern. Wenn ich da an die 1990er Jahre zurückdenke… Als ich 1991 als Theaterleiter das Cinemaxx Essen eröffnet habe, war an Dinge wie ein Handy, Word und Excel nicht zu denken, dennoch haben wir 1993 zwei Mio. Besucher bedient – das hat nie wieder jemand geschafft…

B:F: Welche Kinoform besitzt Ihrer Ansicht nach das größte Zukunftspotenzial?

ANJA THIES: Das ist schnell beantwortet: Unsere. Nein, im Ernst, natürlich sind wir überzeugt, dass sich unser Konzept durchsetzen wird, sonst hätten wir es ja nicht gewählt. Wir legen größten Wert auf Komfort, auf Sauberkeit; auf Kinos, die die Erwartungen der Besucher erfüllen. Wir kümmern uns um die Gebäude, in unseren Häusern gab es nie einen Investitionsstau – es sei denn, wir sprechen von Maßnahmen, für die Mitverantwortung beim Vermieter lag, also von Dingen, an die wir alleine gar nicht herangedurft hätten. Wir setzen Modernisierungen konsequent um, bei uns werden nicht einfach Stühle von hinten nach vorne getauscht.

MEINOLF THIES: Die Aufenthaltsqualität definiert sich aber längst nicht nur über die Ausstattung von Saal oder Foyer. Aktuell investieren wir an zwei Standorten in komplett neue Toilettenanlagen. Das tut bei einem Mietobjekt schon weh, denn „mitnehmen“ könnte man eine solche Investition nicht mehr, sollte man irgendwann den Standort aufgeben. Aber das ist uns wichtiger, als in zwei 50-Platz-Kinos Dolby Atmos zu installieren. Aus eigener Erfahrung können wir übrigens sagen, dass so manche technische Innovation innerhalb der Branche stärker als solche wahrgenommen wird, als beim Publikum. Natürlich wird scharfes Bild und toller Ton erwartet – welche Technik dahintersteckt, ist den meisten Menschen vielfach völlig egal.

ANJA THIES: Unser UC Kino auf Rügen ist aktuell eines der modernsten Kinos der Republik, ich kenne kein anderes Haus dieser Größe, das ausschließlich RGB-Laserprojektion hat. Natürlich sind die Besucher dort zufrieden mit dem Bild – aber unsere Befragungen haben ergeben, dass das Schlagwort „Laser“ bei ihnen im Grunde keine Wirkung entfaltet. Nicht, dass das gegen Investitionen in Laserprojektion sprechen würde, zumal es ja auch den Nachhaltigkeitsaspekt zu beachten gilt. Aber es zeigt doch, dass das Publikum mitunter andere Prioritäten setzt, als man denken könnte. Entscheidend ist, dass es sich wohlfühlt – gerade auch mit dem Preis. Wir achten darauf, die Kinos für jeden, also insbesondere für Familien, zugänglich zu halten.

B:F: Sie denken also weniger in der Premium-Schiene?

MEINOLF THIES: Das hängt von der Definition ab. Hoher Komfort und ebensolche technische Qualität sind selbstverständlich entscheidend, aber ich glaube nicht an zu viel Luxus – zumindest nicht für ein Kino, welches das Publikum in seiner ganzen Breite ansprechen soll. Dem klassischen Achtjährigen ist es doch völlig egal, ob er auf einem Recliner sitzt – der ist einfach nur froh, ins Kino zu dürfen, ein Popcorn zu bekommen und einen tollen Film wie "Super Mario" sehen zu können.

ANJA THIES: Es muss einfach bezahlbar bleiben. Eine Familie wird in der Regel nicht bis zu 20 Euro pro Ticket ausgeben wollen, vor allem weil das für Kinder kaum einen Mehrwert bietet. Kinder sind unsere Zukunft, gerade im Kino, die müssen wir abholen! Wir wollen in unseren Häusern wirklich alle Publikumsschichten mitnehmen. Entscheidend ist aus unserer Sicht: Das familiengeführte Kino wird sich auf jeden Fall durchsetzen. Denn auch wenn wir selbst natürlich nicht jeden Tag an der Kasse oder im Foyer stehen können, um unsere Gäste zu begrüßen, schätzen es die Leute einfach, wenn Sie wissen, dass hinter einem Kino Unternehmer stehen, die sich persönlich für das Erlebnis verantwortlich fühlen – und die diesen Anspruch auch tagtäglich an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben.

B:F: Was muss ein erfolgreicher Kinobetreiber mitbringen?

ANJA THIES: Liebe zum Film, Liebe zum Kino, das Bedürfnis, Menschen eine Freude zu machen. Es gibt einfach nichts Schöneres, als zu erleben, wie hunderte Besucher aus dem Saal kommen, die eine gute Zeit hatten. Und man muss Allrounder sein. Auch wenn man natürlich nicht alles alleine machen kann, muss man doch von allen Bereichen so viel Ahnung haben, dass man stets ein Auge darauf hat. Man kann von niemandem verlangen, in allen Belangen perfekt zu sein, das sind wir natürlich auch nicht. Aber wir behalten den Überblick, wir greifen ein, wenn wir denken, dass etwas nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen.

MEINOLF THIES: Man muss „Kümmerer“ sein. Das ist schließlich der große Vorteil eines mittelständischen Betriebes gegenüber einem großen Konzern. Eine Kette hat ihre Vorteile, gar keine Frage – genauso wie ein DM als Filialist Vorteile gegenüber einer Einzeldrogerie hat. Aber ich kann aus Erfahrung sprechen, nachdem ich mich sehr viele Jahre in beiden Welten bewegt habe: Als Familienbetrieb sind wir im Sinne der Sache einfach schneller und entscheidungsfreudiger. Wir kennen jedes unserer Häuser bis ins Detail und wir legen größten Wert darauf, auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der nötigen Kompetenz auszustatten, das fängt schon bei der Nutzung des „Kinoabiturs“ an. Das Personal ist einfach ein wichtiges Aushängeschild des Kinos. Dazu ein Schlüsselerlebnis: Als wir uns vor Jahren in der Schweiz die erste LED-Installation im Regelbetrieb ansehen wollten, wusste der erste Angestellte gar nicht, wovon wir sprechen – geschweige denn, in welchem Saal sie zu finden war. Ähnliches haben wir erlebt, als die ersten D-Box-Sitze installiert wurden. Das kann doch nicht angehen! Wenn man derartige Investitionen tätigt, muss man auch das Personal mitnehmen. Es geht nicht darum, dass jeder Angestellte sämtliche technischen Details rezitieren kann – aber doch darum, den Kunden auf Innovationen aufmerksam zu machen und sie zu erläutern. Insbesondere, wenn sie mit einem Aufpreis verbunden sind.

B:F: Können Sie abschließend noch etwas über konkrete Projekte für die Zukunft verraten?

ANJA THIES: Da wollen wir uns jetzt nicht zu sehr in die Karten schauen lassen. Aber ein Projekt, das wir gerade mit Eifer verfolgen, ist die Feier der Consulthies-Gründung, die sich am 1. August zum 20. Mal gejährt hat. So viel sei verraten: Wir haben zahlreiche „kinominded Weggefährten“ zu einem Branchenevent auf Rügen am 6. Oktober eingeladen, als Ersatz für Köln.

MEINOLF THIES: Wir ziehen dort keine Riesennummer ab, so viel Euphorie gibt das Kinojahr dann auch wieder nicht her. Aber wir wollen das Jubiläum doch gebührend feiern – in einem ausgewählten Kreis von Partnern und Begleitern unseres Unternehmens. Ein anderes Projekt, zu dem ich gerne ein paar Worte sagen würde, gibt es aber doch noch: Wir hätten uns gerne früher intensiv auf das kommende Kinofest vorbereitet. Denn obwohl erfreulicherweise schon frühzeitig einzelne Filme kommuniziert waren, die man in Previews einsetzen kann, kamen alle verlässlichen Informationen und Zusammenstellungen erst am 8. August. Wir fanden dies etwas spät, wollen die Werbetrommel schließlich nicht erst Anfang September rühren, denn die Verarbeitung solcher Infos braucht lokal schließlich auch einige Tage Zeit – und diese Aktion, die uns erwiesenermaßen auch dabei hilft, Kinoabstinente wieder vor die Leinwand zu bekommen, zählt aus unserer Sicht wirklich zu den wichtigsten Initiativen überhaupt. Denn auch das steht für uns fest: Das Kino verfügt auch in Deutschland über erheblich mehr Potenzial, als es seine Reichweite im Juni und Juli ausdrückte.

Anja und Meinolf Thies feiern 20 Jahre Consulthies

Seit 2021 und nach acht Jahren im Ruhrturm befinden sich die Büroräume der Consulthies an der Essener Adresse Bonsiepen 7

Das Foyer der Hall of Fame - Kino de Luxe in Osnabrück bei der Wiedereröffnung nach sechsmonatiger Renovierungsphase nach der Übernahme

Topmodern nach Übernahme und Renovierung: das UC Kino Bergen auf Rügen

Mit dem Herzen dabei: Anja und Meinolf Thies

Hoher Besuch zum Kinofest Lünen: Anja und Meinolf Thies mit Mario Adorf

Tophit auch in der Hall of Fame in Osnabrück: „Barbie“

Das Gespräch führte Marc Mensch

 

Quelle: Blickpunkt:Film / Fotos: Consulthies