Offener Brief: "Freund & Feind"

Auch die Kinogruppe Nennmann & Thies reagiert mit erheblicher Verärgerung auf die aktuellen Entwicklungen im Kinomarkt - sieht dabei aber auch Verleiher, die ihrer Rolle als Partner derzeit gerecht werden.

von Marc Mensch

"Als Kinobetreiber kommt man in diesen Wochen von einem Trauma ins nächste... Eine Hiobsbotschaft jagt eine andere, Schlag auf Schlag, allesamt unter die Gürtellinie. Doch man muss wohl einer solchen Krise auch etwas Gutes abringen. Wie heißt es bei Eheschließungen? '...in guten wie in schlechten Zeiten...'. Ist alles easy-peasy und die Sonne lacht auf das Leben, kein Problem, das schafft jede Beziehung. Doch kommt es mal knüppeldicke wie in 2020, dann weist sich, ob man wirklich zusammengehört und die Ehe einen großen Sturm überstehen kann oder eben nicht."

Mit diesen Worten leiten Anja und Meinolf Thies sowie Lutz Nennmann einen offenen Brief ein, mit dem man nicht nur dem Ärger über aktuelle Entwicklungen Luft macht, sondern zumindest eingangs auch rekapituliert, von wem man in diesen Zeiten mehr erfahren habe, als die sprichwörtlichen "hohlen Phrasen".

"Nehmen wir mal Wild Bunch: Kaum, dass wir wieder öffnen durften, hat uns der Verleih mit vier Neustarts versorgt und jetzt den fünften gestartet, mit hohem eigenem Risiko. Aber wir hatten und haben frisches Bewegtbild - es ist mehr als eine Geste, es ist ein Bekenntnis, proaktiv mit einem 'Ja' zum Kinomarkt. Ein großer, ehrlicher Dank an Wild Bunch, aber in gleicher Form u. a. auch an Studiocanal und Leonine!", heißt es in dem Schreiben.

Aus dem Reigen der Majors darf sich Warner Lobes versichert sein. "'Tenet'" kommt als potentieller Blockbuster, losgelöst von der bisherigen Strategie und die Kinos greifen danach wie nach einem Stück Treibholz, kurz vor dem Absaufen! Aber warum sollte man allen Ernstes auf 'Trump-Land' warten, wenn man (zunächst) doch schon in über 70 Ländern starten und gemeinsam -Kinos, Verleih, Studio- Geld (zurück-)verdienen und die Leute ins Kino holen kann?", sehen die Verfasser des Briefes den Strategiewechsel zwar nur als konsequent an, danken aber ausdrücklich - auch für die anderen Starts von Warner. Am anderen Ende der Skala steht in dem Brief Walt Disney. "Jetzt hätte es gezählt!", so das knappe Fazit, die Botschaft jedenfalls sei "klar und deutlich angekommen".

Kritik üben die Kinomacher nicht zuletzt an den Startbedingungen für "After Truth", den die Constantin am 03. September noch vor dem US-Start in die deutschen Kinos bringt. Die aufgerufenen Konditionen lehnen sie ab, entsprächen sie ihrer sarkastisch geäußerten Ansicht nach doch eher einem Film, der "James Bond und das gesamte Avengers-Team" vereine.

Abschließend heißt es in dem Schreiben: "Wir haben einen Traum: Wenn es jemals wieder so etwas wie eine Filmwoche in München oder eine Filmmesse in Köln geben sollte, wünschen wir uns, dass alle Kinobetreiber bis dahin nicht vergessen haben werden, wer Freund und Feind in 2020 war. Wer würde dann wohl mit Buhrufen statt mit frenetischem Applaus begrüßt werden? Aber dann wird ein Teil derer, die sich das heute auch fragen, vermutlich schon kein Kinobetreiber mehr sein."


Quelle: Blickpunkt:Film