»Es kommen andere Zeiten«

Der Gedanke an eine Neueröffnung dürfte den meisten Kinobetreibern derzeit denkbar fern liegen. Für Anja und Meinolf Thies bestimmt er den aktuellen Alltag prägend mit.

Nein, ihren Optimismus kann man Anja und Meinolf Thies nicht so schnell nehmen.Auch nicht in dieser niederschmetternden Zeit. Und wo landauf, landab um den bloßen Erhalt der Kinos gerungen wurde, sprachen wir mit ihnen Anfang April auf der Rückfahrt von Rügen, wo sie gerade die Übernahme des UC Kinos in Bergen finalisiert und erste Gespräche mit den Mitarbeitern geführt hatten. Natürlich unter Wahrung großzügiger Sicherheitsabstände – was in einem zwangsgeschlossenen Center mit sechs Sälen nun keine allzu große Herausforderung darstellte.

Aber dennoch: Eine Kinoübernahme in Zeiten von Corona? Natürlich waren die Verhandlungen längst abgeschlossen, bevor sich das wahre Ausmaß der Pandemie offenbarte. Und doch war der Tag der Vertragsunterzeichnung ein schicksalhafter – denn es war jener, an dem unter anderem in Nordrhein-Westfalen (wo der Verbund Nennmann & Thies/Thies fünf der insgesamt bislang acht Häuser betreibt) Eindämmungsmaßnahmen beschlossen wurden, die auch die Schließung der Kinos bedeuteten. Und das, wie mittlerweile klar geworden ist, über einen deutlich längeren Zeitraum als Ostern hinweg. »Natürlich hat man unter diesen Bedingungen nicht unterschrieben, ohne sich Gedanken zu machen. Aber zu unseren Gepflogenheiten als Unternehmer zählt nun einmal, zum eigenen Wort zu stehen, fair mit unseren Partnern umzugehen«, so Meinolf Thies.

Fairness, auf die man nun im Gegenzug zählt, was die Miete für alle Gebäude anbelangt. Aber: »Wir sprechen z.B. auch mit einem Eigentümer, der hauptsächlich Kinos, Hotels und Fitnessstudios im Portfolio hat – und der entsprechend hart getroffen ist«, so Thies, »insofern wird man sehen müssen, wie man sich gegenseitig unter die Arme greifen kann.« Die Ironie an der Situation: Eigentlich war das Ehepaar nicht angetreten, um das Kino zu übernehmen – sondern wurde mit dem Beratungsunternehmen Consulthies für die Hahn-Gruppe als Eigentümerin der Immobilie tätig, nachdem der vormalige Betreiber des UC Kinos im Herbst 2019 beschlossen hatte, den zum 31. März auslaufenden Mietvertrag nicht verlängern zu wollen. Erste Geschäftsbeziehungen zur Hahn-Gruppe hatten Anja und Meinolf Thies als Mieter eines Übergangsbüros in Kamp-Lintfort geknüpft, wo sie im Februar vergangenen Jahres die erste Hall of Fame mit sieben Sälen eröffneten. Nun ging es darum, in Bergen auf Rügen einen neuen Pächter zu finden und diesem über die ersten Jahre beratend zur Seite zu stehen. An ersterem hätte es im Prinzip nicht scheitern sollen, wie Meinolf Thies schildert, allerdings habe sich im Lauf der Verhandlungen gezeigt, dass man es mit jemandem zu tun hatte, der das Kinogeschäft als etwas betrachtete, das man förmlich »so nebenbei« geregelt bekommen könne. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Ein paar Gespräche – unter anderem über die Konditionen – später waren aus den Beratern die neuen Mieter geworden. Die nun dem Zeitpunkt entgegenfiebern, an dem sie in der neuen Immobilie so richtig Hand anlegen können.

Wobei man sich nach Überwindung der aktuellen Krise naheliegender Weise zunächst auf Maßnahmen konzentrieren wird, die keine allzu umfangreichen Investitionen erfordern. »Die gute Nachricht«, so die neuen Betreiber, »lautet diesbezüglich, dass wir bereits im Vorfeld einiges an Baustellen identifiziert haben, die weniger finanzielle Mittel als vielmehr Know-How, Begeisterung und proaktive Herangehensweise erfordern.« Gemeint sind damit vor allem die Außendarstellung des Kinos und die Vernetzung vor Ort. »Wir schauen ja gerne aufs Detail«, berichtet Meinolf Thies. »Und wenn ein solches auf einer Ferieninsel im Hauptort nicht in irgendeiner Weise in den Hotels und Ferienwohnungsanlagen beworben wird, dann sind die Lücken offensichtlich.« Gerade auch hinsichtlich der Website und des Auftritts in den sozialen Medien werde man dem Haus dank des bestehenden Netzwerks und der Erfahrung des eigenen Kinoverbundes schnell zu mehr Attraktivität verhelfen können – »ohne dass ein einziger Sessel ausgetauscht werden müsste«. Was man aber natürlich – neben weiteren Modernisierungsmaßnahmen – perspektivisch plane, wie Thies betont. Auch am Namen, dessen Anglizismus sich vielen Besuchern nicht erschließen woll(t)e, werde man arbeiten. Eine eigene Betreibergesellschaft zu gründen, sei unter den gegebenen Umständen nicht möglich gewesen, ergo habe man das Center, um Fristen einhalten zu können, quasi als Filiale an die Filmpassage Salzgitter GmbH angedockt. Was aber noch keinerlei Vorentscheidung hinsichtlich des Namens sei. Einen Favoriten gebe es derzeit noch nicht, aber »wir fürchten wir haben ja auch noch ein wenig Zeit«, so das Ehepaar – »alleine schon deshalb, weil wir aktuell niemanden finden würden, der uns ein neues Logo baut und installiert«.

»Die Region wird nach der Krise zu den Gewinnern zählen.«
MEINOLF THIES

So muss es einstweilen bei der Vorfreude bleiben – auf ein neues Haus in einer Region, die »zweifelsohne zu den Gewinnern zählen wird, wenn diese Krise erst einmal vorbei ist«. Denn davon ist Meinolf Thies überzeugt: »Bis die Leute wieder entspannt ins Ausland und vor allem in die ganz besonders von Corona gebeutelten Länder fahren, wird sicherlich eine ganze Weile vergehen – in der die inländischen Urlaubsziele einen regelrechten Boom erfahren werden.« Der aktuellen Lage jedenfalls begegnet man mit der gebührenden Prise Sarkasmus: »Wenn man nicht gerade Hersteller von Toilettenpapier ist, wird 2020 ein Katastrophenjahr sein, in dem viel verloren geht, was man aufgebaut hat. Aber: Es kommen auch wieder andere Zeiten! Es wird ein Leben nach Corona geben!« Dem Kino den Weg dorthin ohne allzu große Substanzverluste zu ermöglichen, wäre derzeit der große Wunsch von Anja und Meinolf Thies. Natürlich auch im Sinne der Mitarbeiter, an deren Seite man stünde. »Nach gut drei Jahrzehnten in der Branche Kurzarbeitergeld beantragen zu müssen, ist eine Premiere, auf die ich bestens hätte verzichten können«, so Meinolf Thies, »umso dankbarer bin ich unseren Mitarbeitern, die unseren Kurs tragen und den Sturm gemeinsam mit uns überstehen werden«. Was ihm noch im Magen liegt? Das nicht unbedingt überbordende Engagement mancher Bundesländer für ihre Kulturorte. Im besonders schwer getroffenen Nordrhein-Westfalen sei die Situation ein wenig besser. Aber in Niedersachsen für einen Standort, in den man gerade erst rund drei Mio. Euro investiert habe (das ehemalige CineStar Osnabrück, jetzt die zweite Hall of Fame) nach Stand Anfang April 10.000 Euro ohne die Möglichkeit der Kumulation mit etwaigen Bundesmitteln zu erhalten… »Das macht einen förmlich reif für die Insel!«


Quelle: Blickpunkt:Film