Cinemaxx ist Vergangenheit, kleinere Center haben Zukunft
Das glaubt Meinolf Thies, der seit 30 Jahren Kino macht und das größte Multiplex-Kino führte. Jetzt sieht er die Zukunft in Kamp-Lintfort.
Von hier hat er alle seine sieben Kinos im Blick. Na ja, fast: Meinolf Thies hat sich mit seiner Firma in der zwölften Etage des Ruhr-Turms angesiedelt, dort wo früher der Vorstand von Ruhrgas residierte. Es sieht ein wenig retro-futuristisch aus: Metalltresen und graue Flure. So wie Meinolf Thies selbst: Der Mann blickt auf drei Jahrzehnte Kino-Erfahrung zurück – und glaubt an die Zukunft oft totgesagten Branche. So sehr, dass er jetzt in Kamp-Lintfort ein neues Kino eröffnet hat.
Ein Kino mit sieben Sälen in einer mittleren Kleinstadt auf dem Land werbefrei zu betreiben – in Zeiten von Streaming, Netflix und Youtube: Der wievielte Teil von Mission Impossible ist das?
Es sind eine Menge dunkle Bedrohungen für das Kinogeschäft dazugekommen, das stimmt. Und ein einzelner Avengers-Film rettet das Jahr auch nicht. Aber die Stadt Kamp-Lintfort ist sehr umtriebig, und der Bürgermeister hat viel für die Stadt erreicht: Die Hochschule ist dort entstanden – und nicht in Moers. Die Stadt bekommt die Landesgartenschau und damit verbunden erstmals einen Bahnhof.
Jetzt hat die Stadt nach 36 Jahren auch wieder ein Kino genau dort, wo der Bahnhof entsteht. Zudem sehr nah an der Innenstadt - und wir teilen uns den kostenfreien Parkplatz mit der Hochschule.
Aber wenn der Kinokunde ins Auto steigt, ist der Weg zu den Großstädten nicht weit.
Moers hat ein altes Kino mit drei Leinwänden, Neukirchen-Vluyn hat keines, Xanten auch nicht. Das Cinemaxx in Krefeld ist über 20 Jahre alt, der Cinestar Oberhausen ist noch älter und das UCI Kino in Duisburg steht auf der falschen Seite des Bahnhofs. Unser Kino ist neu und technisch deutlich besser ausgestattet. Wir haben es Hall of Fame genannt, der Name steht für: „Wir sind einfach besser“.
Aber die Giganten sind günstiger. Das Cinemaxx in Wuppertal nimmt z. B. nur 6,99 Euro…
Richtig. Und eine Woche nach unserer Eröffnung ist Cinemaxx Krefeld auf 5,99€ runter und Cinestar Oberhausen bietet Ticket plus Menü für zehn Euro. Wir schauen uns im Online-Buchungssystem bei beiden die Buchungen regelmäßig an und sehen: Gut angenommen wird das nicht. Unsere neun Euro sind erstmal teurer.
Aber es gibt keine Beschwerden. Wenn die Leute zu uns ins Kino kommen, wissen sie warum. Wir haben dort sehr lichtstarkes 3D, im größten Saal Laserprojektion. Das bietet derzeit kein anderes Kino in der ganzen Region. Der Kunde sieht an vielen Komfortfeatures, warum wir nicht 5,99€ nehmen können. Das Kino für fünf Mark aus den 70ern war oft auch nur fünf Mark wert. Wenn ich Laser, Dolby-Atmos, Komfortbestuhlung und D-Box biete, hat das seinen Wert.
Zur Not reichen auch Sitzsäcke, wie bei Ihnen in der Filmpassage Mülheim…
Das ist die Idee eines kasachischen Kinobetreibers. Der kam mal zu meiner Frau und mir und hat von seinem Sitzsackkino erzählt. Da haben wir gedacht: Wenn wir mal einen Saal zu viel haben, probieren wir das. Mit den Auflagen hierzulande ist die Umsetzung schwer. Wir mussten mit dem Hersteller der Sitzsäcke reden, dass er uns schwer entflammbare Sitzsäcke macht.
Wir haben das in Osnabrück mit dem kleinsten Saal getestet -- und es dann in Mülheim adaptiert. So etwas macht uns eben in der Branche bekannt wie auch die Filmzufriedenheitsgarantie oder die Aktion „Mein erster Kinobesuch“, wo Kinder mit Eltern werbefrei und mit nur gedämpften Licht und Ton einen kleinkindgerechten Film aus dem Repertoire gucken. Für zwei Euro pro Karte; da macht es nichts, wenn man den Vorverkauf genutzt hat und das Kind mal krank wird. Zu den vier Veranstaltungen pro Jahr kommen in unsere sieben Kinostandorte 5000 Eltern und Großeltern mit ihren Kleinsten, zumeist so ab 3 Jahren.
Ganz etwas anderes: bei uns kann sich der erwachsene Kunde als Teilnehmer am sog. FZG-Programm registrieren. Wer dann in den ersten 30 Minuten sagst: Der Film gefällt mir nicht, kann rausgehen und bekommt einen wertgleichen Gutschein; kostenfrei – für den nächsten Kinobesuch bei uns!
Die Kinokarte ist ja nur der halbe Preis, die andere Hälfte sind ja Bier und Nachos oder Cola und Popcorn…
Wenn ich bei der Konkurrenz lese: „Flasche Bier und Popcorn nur 11,10“ – also: ich würde mir das „nur“ sparen. Das ist happig. Das Bier kostet vielerorts 4,95€, bei uns 3,70€. Immerhin 20 Prozent weniger - und wir haben das bessere Bier (lacht).
Alle Betreiber brauchen diese Umsätze.
Letztens habe ich in Essen in einem Programmkino mitbekommen, wie die Leute ihre Cracker aus der Tasche holen, kaum war das Saallicht aus. Da könnte ich die Wände hochgehen. Gönnen diese „Cineasten“ der Betreiberin die 2,70 Euro Umsatz nicht?
Kino ist vergleichbar mit Konzerten oder Fußballstadien. Ein Metallica-Shirt hat ein Materialwert von 2,50 € und kostet in der Halle auch 25 Euro. Das Bier auf Schalke ist auch nicht billiger, und wenn ich mich da für 45 Euro auf die Tribüne setze, weiß ich nicht, was mir geboten wird. Da ist Kino deutlich kalkulierbarer; Tragödie oder Komödie ist „voreinstellbar“.
Gehört kleineren Kino-Centern die Zukunft? Gibt es da ein ideales Maß?
Wenn Kamp-Lintfort vier Säle hätte, hätten wir es nicht gemacht. Mit sieben Sälen können wir 80 bis 85 Prozent der Hitparade anbieten. Das müssen wir, sonst fahren die Leute doch wieder in eine größere Stadt. Wir haben aus geplanten 1.100 Sitzen 725 gemacht, dafür Komfortstühle bis in Reihe 1 und überall Tischchen zwischen den Sitzen, damit zwei Damen im Kino sich nicht mit irgendeinem Honk um die Armlehne streiten müssen.
Wie sieht die Kalkulation aus?
Wir brauchen dort rund 200.000 Zuschauer pro Jahr. Der Boom der Multiplexe in den Großstädten ist vorbei. Als ich 1991 am Berliner Platz in Essen anfing, hat man geklotzt: 16 Säle mit 5400 Plätzen. Die Handwerker hatten Sorge, ob sie ihr Geld kriegen. Ein halbes Jahr später haben wir an der Glasfassade gestanden auf die Autokennzeichen geguckt: Die Hälfte der Kunden kam nicht aus Essen. Damals hieß es: Möglichst fett. Große Säle, mega Leinwände, möglichst viele Plätze. Davon ist man weg.
Auch weil sich das Kinopublikum verändert hat?
Wir haben die Chance der demographischen Entwicklung: Kino ist nicht länger nur etwas für sogenannten junge Leute. Sondern auch für die Generation, der es egal ist, ob „Der Junge muss an die frische Luft“ nun 8,50€ oder 10,90€ kostet. Die haben beides im Portemonnaie. Für die ist wichtig: Hat mich der Film getouched? Und: war das Ambiente des Kinos mit allen wichtigen Aspekten so, dass ich mich wohlfühle und gerne wiederkomme.
Wie sieht dann Ihr ideales Kino aus?
Du brauchst heute Säle mit 200 bis 300 Sitzen. Ich hätte auch die Essener Lichtburg -- so schön wie sie ist -- mit 800 Komfortstühlen bestuhlt statt mit 1.200 Sitzen. Das reicht locker für 98 Prozent der Vorstellungen und bringt Kino in die heutige Zeit. Und: es gibt sogar Perspektiven für sehr kleine Säle.
Die Rückkehr der gefürchteten Schachtelkinos?
Nein, das nicht. Aber wir haben in Düren und Solingen anliegende Ladenlokale umgebaut und tun das gerade in Lünen. Diese Kinosäle heißen „my private Lumen“. Da kann der Gast z.B. mit bis zu 30 Freunden seinen Hochzeitsfilm gucken, ein Fußballspiel unter Nutzung seines Sky-Accounts, oder auf großer Leinwand sein Computerspiel zocken.
Und ich als Betreiber muss nicht die Miete nehmen, die ich für einen 350-Plätze-Saal aufrufen muss. Die Idee ist: Wir vermieten ein Kino – Sie können darin ansehen, was sie wollen, außer verbotene Inhalte. Das sollte man heute im Portfolio haben.
Warum machen Sie Kino werbefrei? Damit könnten doch die Preise drücken...
In der Frage war das Publikum schon vor 20 Jahren sehr gespalten. Das längste Vorprogramm haben wir mal gemessen in Dortmund mit 62 Minuten. Und bei einem anderen Filialbetreiber gab es sogar Pausen mit Werbung. Näher ans Privatfernsehen kann Kino nicht rücken! Ich halte das für falsch.
Wir suchen im Umfeld bis zu 5 regionale Sponsoren. Die bündeln wir mit ihren Logos in einem 45-Sekun-den-Spot und sagen: Die Hall of Fame in Kamp Lintfort bedankt sich bei den Stadtwerken und der örtlichen Bank etc., dass bereits jetzt der Hauptfilm beginnt. Fertig. Und: Ohne lange Werbezeiten kann ich in pro Saal 4 statt 3 Vorführungen am Tag machen. Das macht betriebswirtschaftlich Sinn.
Hat der Blockbuster Avengers Ihnen den Start in Kamp-Lintfort erleichtert?
Eigentlich war der Start – nach drei Verschiebungen – auf den 20.12.2018 terminiert. Das ging dann nicht aus Brandschutzgründen. Das hat sehr wehgetan, wegen des verpassten Weihnachtsgeschäfts und wegen der Handwerker, die für den Dezembertermin alles gegeben haben.
Wir haben dann am 7. Februar mitten am Tag plötzlich die Betriebsgenehmigung bekommen. Und da haben wir gesagt: Okay, dann spielen wir heute ab 16 Uhr. Und schon standen bald 100 Leute vor der Tür. Nur wegen der Info via social media. Das war toll. Avengers war zuletzt nur ausgleichende Gerechtigkeit -- nach dem Osterfest mit über 26 Grad.
Dann ist für Sie jetzt Traumwetter?
Das ist genau richtig. 15 Grad bedeckt, nicht zu viel Regen, sonst bleiben die Leute auf der Couch.
Fehlt noch „Der Junge muss an die frische Luft, Teil II“…
Oder so etwas Ähnliches. Es ist schön, wenn ein Film so überrascht. Aber auch „Bohemian Rhapsody“ hat mich überrascht. Jetzt kommt Ende Mai „Rocketman“ über Elton John, neben Elvis und Michael Jackson der erfolgreichste Solokünstler aller Zeiten und der einzige, der noch lebt… Der Film könnte als Sommer-Feelgoodmovie durch die Decke gehen wie seinerzeit „Mamma Mia“. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass der „Pokemon“-Film funktioniert. Die Schätzungen variieren zwischen 400.000 und bis zu vier Millionen Besuchern in Deutschland!
Das ist mal eine Spannbreite…
Genau, und das macht Kino heute schwierig planbar. Wenn früher ein Film mit Julia Roberts kam, wussten Sie: Da kommen zwei Millionen. Gegenbeispiel: In unseren Sneak-Previews hat „Goldfische“ von den Besuchern die besten Noten der letzten dreieinhalb Jahre bekommen – und zieht in Summe kaum 500.000 Besucher.
Meines Erachtens kann der sich mit jeder französischen Komödie messen. Aber es gibt im Kino immer Dinge, die ich nicht für möglich halte. Auf der Weihnachtsfeier in Lünen sagte eine 21-jährige Mitarbeiterin: Ich hätte mal gerne so eine 50-Shades-of-Grey-Triple-Night…
Bitte? Sechs Stunden lang diesen langweiligen Kram?
Siebeneinhalb! Diese Filme sind sehr lang. Ich hab auch gedacht: Verwegene Idee. Wir haben das gemacht in einem der Private-Lumen-Säle. Mit Sektflatrate; da steht ein Mann im Saal und schenkt nach, wann immer die Ladies wollen. Und das läuft nun bald zum vierten Mal….
Aber wenn Sie Ihre sieben Säle in Kamp-Lintfort mit Wunschfilmen bespielen dürften – was läuft dann?
„Fußball ist unser Leben“ im großen Saal, klar! Dazu: „Blues Brothers“ und „ein fast perfektes Verbrechen“ – ein recht unbekannter Film von 2011 mit Milla Jovovich. Dazu: „Spiel mir das Lied vom Tod“. Eine der ersten Folgen von „Nackte Kanone“ wahrscheinlich „33 1/3“. Und „Honig im Kopf“
Als Verneigung vor Til Schweiger?
Til Schweiger hat seine Allüren und nicht immer den richtigen Tweet gepostet. Aber er hat in den letzten 20 Jahren 50 Millionen Menschen in deutsche Kinos gebracht.
Gegen den sollte kein Kinobetreiber ein Steinchen werfen. Er hat die Balance bei „Honig im Kopf“ sehr gut hinbekommen. Ich weiß, wovon ich rede: Meine Mutter hatte Alzheimer und Parkinson. Sicher: Til‘ s Film war Mainstream. Wer es auf die harte Tour will, guckt eben „Still Alice“.
Und im siebten Saal?
Da man die Säle ja auch mit Konserven bespielen kann und wir alternative Saalnutzungen forcieren: Das Uefa-Cup-Finale Inter Mailand gegen Schalke 04. Das Rückspiel natürlich!
Quelle: WAZ / Foto: Lars Heidrich