Die Vielfalt der Kinolandschaft steht auf dem Spiel

Wenn von der Gefahr der Verödung unserer Innenstädte durch die Corona-Krise die Rede ist, steht die Kinowirtschaft samt ihrer Immobilien zumeist gar nicht im Blickpunkt. Ein fataler Fehler bei deutschlandweit über 1.700 Standorten. Die Branche versucht teils mit kreativen Ideen die Pleite abzuwenden.

So hatten sich Anja und Meinolf Thies bei Vertragsabschluss die Über- nahme des UC Kinos Rügen vom Eigentümer Hahn-Gruppe nicht vorgestellt. Am 1. April blieben die Leinwände schwarz, die Übernahme des Standorts mit sechs Sälen und 750 Plätzen in die eigene Kinofamilie fand quasi nur unter vier Augen statt. Schwierig war es schon, aufgrund der Reisebeschränkungen für die Nord- und Ostseeinseln, die Betriebsübernahme pünktlich abzuwickeln. Trotzdem blicken die beiden geschäftsführenden Gesellschafter von Consulthies optimistisch auf ihren neunten Kinobetrieb.

Der Optimismus ist auch nötig. Denn derzeit macht Covid-19 der Kinobranche richtig große Sorgen, das Stimmungsbarometer drehte sich seit Jahresanfang um 180 Grad. Anfang Januar wurde vom Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) das Jahr 2019 noch als „solides Kinojahr“ mit einem Besucher- und Umsatzplus von knapp 15% gegenüber dem Vorjahr bezeichnet. HDF-Chefin Christine Berg sprach davon, dass „die Kinobranche deutlich gestärkt in das Jahr 2020 geht“. Doch die Corona-Krise machte die Blütenträume abrupt zunichte. Seit Mitte März sind deutschlandweit flächendeckend 1.734 Kinos für unbestimmte Zeit geschlossen. Der HDF geht von Ertragsverlusten in Höhe von 17 Mio. Euro pro Woche in der Kinobranche aus. Bei einer voraussichtlichen dreimonatigen Schließung bis 30. Juni würden sich die Ausfälle in Höhe von 186 Mio. Euro türmen.

Viele Betriebe stünden schon seit Anfang April am Rand ihrer wirtschaftlichen Belastbarkeit, weil wesentliche Personal-, Kapitalund Betriebskosten trotz ausbleibender Umsätze weiterlaufen. Im Gegensatz zum produzierenden Gewerbe seien die Verluste an der Kinokasse nicht nachholbar. Der HDF beruft sich auf eine Stellungnahme von Rinke Treuhand und rmc medien + kreativ consult, wonach aufgrund der Corona-Pandemie mit einem Wegfall von fast 40 Mio. Kinobesuchern in diesem Jahr zu rechnen ist. Die Filmförderungsanstalt (FFA) zählte im Jahr 2019 ca. 118,6 Mio. Besucher. Während die Erlösstruktur eines Kinobetriebs direkt an das Besucheraufkommen gekoppelt ist, bleibt die Kostenstruktur davon größtenteils unberührt. Daher fordert der HDF, einen Stabilisierungsfonds unter der Verwaltung der FFA einzusetzen, der die Betriebskosten der Kinos mit 4,62 Euro pro fehlendem Besucher direkt bezuschusst. Die Summe beziehe sich auf die echten Fixkosten, die bereits um Kurzarbeitergeld bereinigt seien. Doch auch das Kurzarbeitergeld erreicht die Kinobranche kaum. Von den fast 25.000 Beschäftigten sind gut die Hälfte geringfügig beschäftigt und profitieren von den Kurzarbeiterregelungen nicht.

Auch Meinolf Thies bemängelt die Ungleichbehandlung zwischen Arbeits- und Sozialrecht. Studentische Teilzeitmitarbeiter seien in der Regel sozialversicherungsfrei und würden monatlich 800 Euro bis 1.000 Euro
verdienen, bei der Kurzarbeiterregelung aber durch den Rost fallen. Thies fängt dies derzeit auf, indem Consulthies den durchschnittlichen Verdienst der letzten drei Monate auch ohne Gegenleistung bezahlt. Noch kann sich Consulthies diesen Sozialaspekt leisten. Denn Anja und Meinolf Thies sind beratend und mit Gutachten, Machbarkeits- und Wirtschaftsanalysen bundesweit tätig, realisieren Lichtspielhäuser und bauen bestehende Kinos um. Diese breite wirtschaftliche Aufstellung hat die stark mittelständisch geprägte deutsche Kinobranche nicht. „Unsere Branche ist nicht Adidas“, betont Thies. Denn man erhalte nicht wie Adidas Gelder von der KfW. „Da geht einem als Unternehmer das Messer in der Tasche auf.“

Betroffen von der Corona-Krise seien kleine Landkinos wie große Multiplexkinos fast gleichermaßen. Bei Letzteren fallen die Mietpreise besonders ins Gewicht: Je älter der Mietvertrag, desto höher der Mietzins. So kommt laut Meinolf Thies monatlich ein bis zu sechsstelliger Betrag für die Miete bei großen Multiplexen zusammen, bei Häusern mit bis zu acht Leinwänden stuft er die Kosten im hohen fünfstelligen Euro-Bereich ein. Plus Kosten für Personal, IT, Gebäudereinigung und anderes. Wer kann, zehrt in der Krise von Rücklagen, die eigentlich für Investitionen geplant waren. Noch wird nicht von Kinoschließungen berichtet, diese drohen „vor allem dort, wo schon zuvor ein Investitionsstau erkennbar war“, fürchtet Arne Schmidt, selbstständiger Berater für die Kinowirtschaft.

Schwierig wird voraussichtlich auch die Übernahme der Kinokette Cinestar durch den Wettbewerber Cinemaxx (Vue Entertainment). Das Bundeskartellamt hat Anfang März dem Zusammenschluss nur zugestimmt, wenn in den nächsten sechs Monaten in Augsburg, Remscheid, Mülheim a. d. Ruhr, Bremen, Gütersloh und Magdeburg jeweils ein Kino an einen Wettbewerber veräußert wird. Für die drei letztgenannten Standorte
sieht Thies „aufgrund des maroden Zustands kaum eine Chance“. Sofern möglich, versuchen die Kinobetreiber Nischen zu besetzen, die aber die Einnahmen eines normalen Kinobetriebs nicht annähernd ersetzen können. So wie beispielsweise das Cinecitta in Nürnberg, Deutschlands größtes Multiplexkino. Es bietet einen Lieferdienst seiner eigenen Gastronomie mit Popcorn, Nachos, Burger und anderen To-go-Speisen für das Pantoffelkino an. Doch auch die im September eröffnete Coworking-Lounge oberhalb der Kassenhalle musste schließen.

Ein anderer Weg für Einnahmen sind Autokinos, die in vielen Bundesländern ein Revival erfahren. Im März erfasste Comscore fünf Autokinos, im April sind es bundesweit schon 20. In Kornwestheim bei Stuttgart und
in Essen habe es im Vergleich zum Vorjahr Zuschauerzuwächse von bis zu 400% gegeben, trotz Sicherheitsvorschriften.

Auf diese sind die Kinos generell vorbereitet, hoffen auf einen Neustart spätestens im Juli und wollen von den Erfahrungen des Einzelhandels und eventuell der Gastronomie lernen. Die große Frage lautet: Wird das Gemeinschaftserlebnis Kino funktionieren, wenn nur bis zu 25% der Plätze belegt werden können? Heinz Lochmann, Inhaber von neun Traumpalast-Kinos im Premium-Segment mit 65 Leinwänden und mehr als 10.000 Sitzplätzen, fragt sich, ob die Menschen nach den Corona-Beschränkungen nicht eher an Outdoor-Erlebnisse als an Kinosäle denken. Viel hänge auch davon ab, welche Blockbuster die Filmverleiher wann freigeben. Und er fragt sich, ob aufgrund Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit nicht eh Konsumverzicht geübt werden müsse, also ganze innerstädtische Konsumketten zusammenbrechen.

Trotzdem sieht er für diesen Spätherbst der Eröffnung der weltweit größten ImaxKino-Leinwand in Leonberg optimistisch entgegen, denn „das Kino ist die Welt der Träume“.

Dagmar Lange


Quelle: Immobilien Zeitung